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Schelte und was ich daraus lerne!

Published / by Katharina Gerlach / 8 Kommentare zu Schelte und was ich daraus lerne!

Ich habe Schelte bezogen, und das durchaus zurecht, daher unterbreche ich das reguläre Programm für ein paar dingend benötigte Erklärungen und Aussagen.

Zuerst einmal eine Zusammenfassung der Kritik:
Ramona von Lesekanone.de hat korrekterweise angemerkt, dass man über die Qualität eines Buches mit dem Konzept des SoS-Trainings keine Aussage machen kann. Mal ganz abgesehen davon sind die Kriterien für SoS sowieso extrem subjektiv (was ich bereits auf der Startseite anmerke). Jede/r LeserIn hat eigene Kriterien für Dinge, über die man stolpern kann. Meine sind mit Sicherheit nicht allgemeingültig.
Außerdem wies Ramona darauf hin, dass hier in Deutschland schlechte Rezensionen sofort zu weniger Verkäufen führen. Das war mir so nicht bewusst, da ich diesen Effekt aus den USA, wo ich bisher meine Bücher verkauft habe, nicht kenne. Dort gehen die Leser bei Rezensionen davon aus, dass sie gekauft oder ausschließlich von Freunden und Familie sind, wenn es nicht wenigstens ein paar schlechte (3 bis 1 Stern) zwischen den ganzen 4 und 5 Sterne Rezis gibt.

Meine Gedanken dazu:
Die Intention dieses Blogs ist es nicht, Indie AutorInnen und deren Bücher schlecht zu machen. Im Gegenteil. AutorInnen stecken sehr viel Herzblut in ihre Arbeit, und sie sollen daher auf diesem Blog Gelegenheit bekommen, ihre Bücher vorzustellen. Außerdem weise ich hiermit darauf hin, dass ich auch Bücher für das SoS-Training benutze, die ich mir selbst gekauft habe. Das ist z.T. notwendig, da ich nicht immer genügend Bewerbungen erhalte. Meine SoS-Beiträge sollen dazu anregen, selbst mal in die Texte zu gucken, mir zu widersprechen und die eigenen Lesegewohnheiten zu hinterfragen.
Tatsache ist, dass die allermeisten LeserInnen bereits nach wenigen Seiten wissen, ob ihnen ein Buch gefallen wird oder nicht. Ich wüsste gerne, welche Kritereien zu diesen Entscheidungen führen. Meine Kriterien stelle ich auf diesem Blog dar. Bücher, die mir trotz Stolperern so gut gefallen, dass ich sie zuende lese, rezensiere ich gesondert auf Amazon oder anderen Plattformen.

Änderungen:
Damit nun nicht der Eindruck entsteht, ich würde meine Meinung über die aller anderen LeserInnen stellen, noch dazu nach einer Lesezeit von maximal 40 Minuten, habe ich für diesen Blog folgende Änderungen beschlossen:
1. Ich verwende nicht länger Ampelfarben, um die Durchhaltezeiten zu kennzeichnen. Diese Farben sind unbewusst zu sehr mit Qualitätsstufen gleichgesetzt. Von jetzt an werden die Farben pink (nicht geschafft), warmgelb (geschafft mit Stolperern) und blau (ohne Stolperer) verwendet.
2. Jeder SoS-Beitrag bekommt eine Warnung vorangestellt, um deutlich zu machen, dass SoS-Beurteilungen keine reguläre Rezensionen sind und sich Leser unbedingt selbst ein Bild machen sollten.

Um deutlich zu machen, wie extrem und wie subjektiv der SoS-Härtetest ist, stelle ich jetzt ein Buch vor (allerdings ohne Training, denn ich habe das Buch bereits halb durch), das zweifelsfrei von hoher Qualität ist. Der Autor hat bereits mehrfach Preise gewonnen und ist in vielen Verlagen veröffentlicht.

Und damit niemand denkt, ich sei mit meinen eigenen Geschichten gnädiger, jage ich diese Woche mein Buch „Regen für Juma“ durch diesen Härtetest. Das Ergebnis seht ihr nächste Woche.

 


 

Der begrabene Riese - Kazuo Ishiguro | Spannung ohne StolpersteineHeute sehen wir, dass sich ein Autor über alle Regeln hinwegsetzen kann und dabei trotzdem ein atemberaubendes Buch schreibt.

Der Anfang der Geschichte: Ein alter Mann erinnert sich an sein Leben – bruchstückhaft – seltsam distanziert. Er und seine Frau leben am Rande ihrer Gesellschaft in einer unterirrdischen Siedlung, die des Nachts fest verriegelt wird, da es draußen gefährlich ist. Er wundert sich, warum alle ihre Mitbewohner so viel vergessen. Gemeinsam mit seiner Frau beschließt er, auf die Suche nach ihrem Sohn zu gehen, der eigentlich im Nachbardorf leben müsste …

Erhältlich bei Amazon.

Anmerkung: Dieses Buch läuft außerhalb der Konkurenz, da es nicht von einem Indie-Autor stammt, und da ich es bereits halb durch habe, weiß ich nicht mehr, wie viele Stolperer ich in den ersten 40 Minuten hatte. Aber viele waren es nicht (insbesondere keine Rechtschreib- oder Gramatikfehler)!

Stolperstein #1: direkte Ansprache des Lesers

„Nach den kurvenreichen Sträßchen und beschaulichen Wiesen, für die England später berühmt wurde, hättet ihr lange gesucht.“

Analyse: Gleich im ersten Satz spricht der Autor die LeserInnen direkt an. Das ließ mich stocken, war es doch extrem ungewohnt. Jeder halbwegs kompetente Schreibratgeber bringt uns bei, niemals den Leser direkt einzubinden. Und doch … läßt man sich zaghaft auf diese Erzählerstimme ein, entwickelt sie eine ganz eigene Sogwirkung. Ruhig und eindeutig beobachtend ist diese Stimme, also nicht die übliche „aus Sicht der Hauptfigur“-Perspektive, die ich als LeserIn sonst kenne.

Stolperstein #2: Dämmer

Analyse: Das Wort „Dämmer“ ist im Zusammenhang mit Vogelgezwitscher und Morgen klar verständlich, ließ mich aber dennoch innehalten. Es ist ungewöhnlich. Altmodisch. Die meisten AutorInnen hätten wahrscheinlich stattdessen „Dämmerung“ oder „Dämmerlicht“ gewählt, denn es gibt der Erzählstimme einen ungewohnten Klang. Doch auch wenn innehalten im Rahmen dieses Experiments einen Stolperstein erfordert, hat es mich gefreut, mal ein weniger gebräuchliches Wort zu lesen.

Stolperstein #3: Einstieg mit vielen Rückblenden

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Analyse: Die Geschichte beginnt mit einem alten Mann, der sich im Laufe mehrer Tage an einige seltsame Ereignisse erinnert. Verwundert stellt er fest, dass sich keiner seiner Nachbarn an diese Ereignisse erninnert. Selbst seiner Frau fällt es schwer, das Geschehene ins Bewußtsein zurückzurufen.

Da der Alte mehrere Tage braucht, um eine erste Entscheidung zu treffen, und dazwischen zahlreiche mehr oder weniger lange Rückblenden durchlebt und gedanklich analysiert, kam mir der Anfang sehr schleppend vor, bis mir klar wurde, dass dieses Erzähltempo genau zur Geschichte passte. Alte Menschen sind nicht schnell. Menschen, die vieles vergessen, erinnern sich nicht in einem Satz. Die Langsamkeit des Einstiegt war ein vom Autor bewußt gewähltes Stilmittel, um das Leben in seiner Welt lebendig zu machen.

Es erforderte eine Umstellung meinerseits, mich auf dieses Tempo einzulassen (was ich übrigens bisher noch nicht bereut habe).

Kudo #1: alte Hauptpersonen

Analyse: Die Hauptfigur des Romans ist ein alter Mann (ich meine richtig alt, sozusagen am Ende seines Lebens), der mit seiner Frau eine Reise beginnt, über die alle ihre Bekannten die Köpfe schütteln. Ich finde es grandios, einmal eine Geschichte aus einer so ungewöhlichen Sicht geschildert zu bekommen. Es bringt uns das Altern näher und zeigt, dass es nie zu spät ist, etwas Neues zu beginnen.