Heute sehen wir wie problematisch es ist, wenn man nicht das bekommt, was man erwartet. Dann stören einen Kleinigkeiten beim Lesen umso mehr.
Der Anfang der Geschichte: Ein alter, leicht verbitterter Mann beschließt, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Dabei schweift er ständig ab, was zwar durchaus interessant ist, da es z.T. recht tiefgründige Gedanken sind, was aber die Geschichte so ausbremst, dass sie gar nicht recht in Fahrt kommt.
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Analyse: Grammatikalisch völlig korrekt hatte die Autorin am Anfang ihrer Geschichte das Plusquamperfekt (ich hatte dieses Wort immer geliebt) eingesetzt. Leider hatte sie dabei nicht bedacht, dass so viele Hilfsverben auf einem Haufen das Lesen erschweren. Sie hatte zu einem Zeitpunkt angefangen und hatte sich dann umentschlossen. Danach hatte der alte Mann zusammengefasst, was er am Tag getan hatte.
Mal ehrlich. Liest sich das nicht ein wenig unrund? Aktiver und spannungsfördernder wäre es gewesen, den/die LeserIn den Tag des Alten miterleben zu lassen. Es gab keinen mir ersichtlichen Grund, die Teile, die die Autorin im Plusquamperfekt erzählt, nicht in eine lineare Erzählweise zu bringen. Mir hätte es besser gefallen. Ich gebe aber zu, dass dies eindeutig ein Punkt des Geschmacks ist (daher habe ich diesen nicht voll gezählt und abschließend einen 4. Stolperstein hinzugefügt).
Analyse: Bei diesem Fehler muss ich zwei Textstellen zitieren und erklären, wie ich sie verstanden habe. Die erste Stelle ist folgende:
In den letzten Jahren meiner Tätigkeit erledigte ich nur noch wenige Prozesse selbst, …, die mich schließlich dazu bewogen haben, ganz aufzuhören, bevor ich meiner Kanzlei Schaden zufügte.
Diese Stelle bedeutete für mich, dass der Anwalt wegen einiger Gründe freiwillig in den Ruhestand ging, bevor ein Schaden auftrat. Damit ist der Satz allerdings falsch konstruiert, denn der Schaden war ja noch nicht eingetreten (wie ich dachte). Es hätte heißen müssen: bevor ich meiner Kanzlei Schaden zufügen konnte. Das war also ein Stolperer — notiert.
Ein Absatz später kam folgende Stelle:
Als schließlich einer meiner Mandanten, …, gegen mich auf Schadenersatz klage, …, drängten mich auch meine Associés in den Ruhestand.
An dieser Stelle bin ich so gestolpert, dass ich eine Weile stehen bleiben und meine Meinung zum vorigen Stolperstein revidieren musste. Offensichtlich ist tatsächlich ein Schaden für die Kanzlei eingetreten, wenn es vielleicht auch nur ein Imageschaden war. Folglich hätte der Satz oben heißen müssen: „die mich schließlich dazu bewogen haben, ganz aufzuhören, da ich meiner Kanzlei Schaden zufügte.“
Am sinnvollsten wäre es gewesen, die Informationen aus dem zweiten Absatz VOR die Aussage des ersten Absatzes zu verschieben, um diese Art der Verwirrung gleich auszuschließen.
Analyse: Am Ende des ersten Kapitels steht:
Mehr will ich über meine aktuellen Umstände jetzt nicht erzählen. Morgen mache ich mich an den Anfang der Tragödie.
Ja mei (tät der Bayer sagen)! Ich dachte dies wäre der Anfang der Geschichte. Und als der Alte es dann nicht einmal schaffte, den Anfang der Geschichte im nächsten Kapitel unterzubringen, gab ich auf.
Analyse: Als ich aufhörte zu lesen, fragte ich mich, warum diese Geschichte für mich so wenig spannend war. Die Antwort darauf ist letztendlich recht einfach und doch kompliziert. Der Roman wurde mir als Krimi mit historischen Elementen angeboten, ist aber eigentlich eine Lebensbeichte, sozusagen fiktive Memoiren.
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Wenn ich aber einen Krimi lese, gehen damit gewisse Erwartungen einher, die dem Genre innewohnen. Am Anfang steht der Tod einer Person oder zumindest die Erkenntnis, dass eine Person sterben wird, und der Rest des Buches dreht sich darum, diesen Tod aufzuklären oder zu verhindern. Dabei fließt die eine oder andere persönliche Nebenhandlung in den Krimifaden ein. Dies ist aber bei diesem Buch keineswegs der Fall.
Bei Memoiren, fiktiv oder echt, erwartet der/die LeserIn, dass das Wesen der zentralen Person, in diesem Fall des italienischen Anwalts, die gesamte Erzählung färbt. Gerne dürfen Memoiren Krimielemente, Fetzen von Liebesgeschichten oder sogar Phantastisches enthalten, solange die Ereignisse die zentrale Person beleuchten und für LeserInnen begreifbar machen. Darum geht es in Memoiren, die Person kennenzulernen und bei jedem neuen Kapitel neue Facetten zu entdecken.
Ich würde diese Geschichte den fiktiven Memoiren zuordnen, nicht dem Krimi-Genre.
Analyse: Der Autorin ist es außerordentlich gut gelungen, den Erzähler, einen alten, verbitterten Anwalt aus Italien, und seine beginnende Demenz darzustellen. Man sieht den Mann förmlich vor sich, riecht den vertrauten Geruch nach Kohlsuppe und Toilette, wenn man mit ihm in seiner düsteren Wohnung sitzt und ihm beim Schreiben über die Schulter sieht. Ich glaube, dass LeserInnen, die Memoiren mögen, diese Geschichte ausgesprochen spannend finden werden.
„In den letzten Jahren meiner Tätigkeit erledigte ich nur noch wenige Prozesse selbst, …, die mich schließlich dazu bewogen haben, ganz aufzuhören, bevor ich meiner Kanzlei Schaden zufügte.
Diese Stelle bedeutete für mich, dass der Anwalt wegen einiger Gründe freiwillig in den Ruhestand ging, bevor ein Schaden auftrat.“
Dies ist eine Fehlinterpretation. Das „zufügte“ ist ziemlich eindeutig ein Konjunktiv I, den andere Autoren so gern voller Würde mit „zufügen würde“ formulierten. Leider ist Letzteres inzwischen üblich.
Das stimmt zwar, aber zufügte ist auch die einfache Vergangenheit von zufügen, wodurch der Satz zumindest missverständlich ist. Man hätte vielleicht sagen können: bevor meine Kanzlei Schaden davontrüge (oder etwas Ähnliches). Dann wäre es eindeutig gewesen, oder?